08. September 2017

Roland Werner: Warum mir das Heilige Land wichtig ist …

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Fünf ganz persönliche Gründe

Das Heilige Land – eine einzigartige Schnittstelle

Ich sitze mitten in der Altstadt von Jerusalem. Hier schreibe ich diesen Beitrag. Einen passenderen Ort könnte es fast nicht geben. Hier, an der Schnittstelle zwischen christlich-arabischem und muslimisch-arabischem Viertel, zwischen jüdischer und arabischer Welt, umgeben von Pilgern und Touristen aus fast allen Ländern der Erde. Hier im Johanniter-Hospiz an der 8. Station der Via Dolorosa, das der Christus-Treff Marburg seit über 20 Jahren als Gästehaus betreibt. Sobald ich aus der Tür komme, bin ich mitten in diesem Mikrokosmos der Welt. Allein heute habe ich schon über zwanzig Sprachen gehört, in Gesängen, Gesprächen, Gebeten. Für einen Sprachenliebhaber wie mich ist das wie ein nicht aufhörender Adrenalinstoß, und ich lebe auf, wenn ich mich an einem einzigen Nachmittag in fünf oder sechs Sprachen unterhalten kann. Doch das ist nur einer der Gründe, warum Israel mir wichtig ist. Es gibt viele weitere. Fünf ganz persönliche Gründe will ich nennen.

 

1 Historische Wirklichkeit

Hier im Heiligen Land begegne ich auf Schritt und Tritt der Wirklichkeit der Bibel. Die im Buch der Bücher beschriebenen Orte, Bethlehem, Nazareth, Jerusalem, Bethanien, Kapernaum, Emmaus, Bethesda und wie sie alle heißen, treten aus den Seiten eines alten Buchs heraus. Diese Orte existieren wirklich! Und je mehr die Archäologen weiterarbeiten, je mehr sie sich in die Erde und damit in die Geschichte hineingraben, umso mehr bestätigen ihre Funde die Geschichtlichkeit und Tatsächlichkeit der Bibel. Hier in Israel, im Westjordanland und auch in Jordanien und in Ägypten wird die biblische Geschichte lebendig. Wer hier mit offenen Augen und offenem Geist reist und das Land wahrnimmt, merkt: Die Bibel hat doch recht! Er begegnet den biblischen Personen, deren Spuren überall zu entdecken sind: Abraham und Jakob, David und Hiskia, Jesaja und Nehemia und nicht zuletzt Jesus selbst. Hier, in diesem Land, wird mein Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Bibel gestärkt.

2 Erfüllte Verheißungen

Hier im Heiligen Land sehe ich, dass Gottes Verheißungen sich erfüllen. Jerusalem ist ein Ort, zu dem Menschen aus allen Völkern kommen, um Gott anzubeten. So ist es vorausgesagt im Alten Testament, so geschieht es an jedem Tag. Der Grund dafür: Jesus. Er, der Verachtete und aus der Volksgemeinschaft Israels Ausgestoßene, der unerkannte Davidsnachfahre, bringt die Völker nach Jerusalem. Wegen Jesus und seiner Geschichte reisen jedes Jahr mehrere Millionen Touristen in dieses Land. Das ist eins der großen Paradoxe: Dass gerade Jesus, er, den viele Juden ablehnen, den der babylonische Talmud als Betrüger und Zauberer bezeichnet und der deshalb zu Recht ausgestoßen und hingerichtet wurde, der Grund ist, warum die nichtjüdischen Nationen die jüdische Bibel – den Tanach – als Teil ihrer Heiligen Schrift lesen und den Gott Israels anbeten. Jesus, den der römische Statthalter Pontius Pilatus in der Inschrift über dem Kreuz als „König der Juden“ bezeichnete, ist genau das – der Davidssohn, in dem die alttestamentlichen Verheißungen zusammenlaufen und sich bündeln. Mir ist Israel wichtig vor allem wegen Jesus, dem verheißenen Messias Israels und König der Völker.

3 Botschafter der Versöhnung

Mich ermutigt, dass es in diesem Land Menschen gibt, die die Mauern und Zäune zwischen den Völkern und zwischen den Konfessionen überwinden. Leider gibt es auch viele, die Mauern bauen. Ich finde es traurig, dass manche Christen nicht „Botschafter der Versöhnung“, sondern der Trennung sind. Da sind die Einen, die ganz „auf der Seite Israels stehen“, und alles, was von der jeweils amtierenden Regierung gemacht wird, geistlich sanktionieren wollen. Sie sind – so scheint es mir – bereit, auch Unrecht zu entschuldigen, solange es ihrer Idee dient, die sie aus der Bibel zu erkennen meinen. Da gibt es aber auch die anderen, die an Israel kein gutes Haar lassen, und ausschließlich die palästinensische Seite sehen und so auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Beide Gruppen finden sicher unendlich viele Gründe für ihre jeweilige Meinung. Beide erliegen aber auch der Versuchung, Geistliches mit Politischem zu vermischen. Beide können ihre Sicht des Konflikts, der hier in diesem Land herrscht, nur dadurch aufrechterhalten, dass sie die andere Seite ausblenden und keine oder kaum Berührung mit ihr haben. Doch als Christen können und dürfen wir nicht einseitig nur für die Israelis oder die Palästinenser sein, nicht für die einen und gegen die anderen, sondern wir können – im Namen von Jesus – nur für alle Menschen sein, für Juden und Araber zugleich. Gott ist nicht für die einen und gegen die anderen. Das lehrt die Bibel von Anfang an. Auch die Erwählung Israels ist nichts Exklusives, Ausschließendes, sondern ist einschließend, inklusiv. Durch Abraham sollen alle Völker gesegnet werden (1. Mose 12, 1-13). Als Josua über den Jordan gekommen war am Anfang der Landnahme, begegnete ihm ein Engelfürst. Auf die Frage von Josua: „Gehörst du zu uns oder zu unseren Feinden?“ antwortete dieser: „Nein!“ (Josua 5, 13f)

Ich freue mich darüber, dass es viele Christen gibt, die genau diese Spannung aushalten, und den Weg der Versöhnung suchen. Solche Christen habe ich am letzten Sonntag in einer arabischen evangelikalen Gemeinde in der Altstadt von Jerusalem erlebt. Sie beteten für Israel und für Palästina, für Christen, Juden und Muslime. Ich bin davon überzeugt, dass sie damit dem Willen Gottes folgten, der keinen Unterschied macht zwischen den Nationen, und der in Jesus ein für alle Mal den Zaun abgebrochen hat, der die Juden und Nichtjuden voneinander trennte. (Epheser 2). Diesen Zaun wieder aufrichten zu wollen, hieße, das, was Jesus am Kreuz getan hat, unwirksam zu machen.

4 Das Wunder der Gottesbegegnung

Ich liebe das Heilige Land, weil Menschen sich hier in besonderer Weise öffnen für Gottes Wirken. Und wenn sie das tun, erfahren sie etwas von Gottes Gegenwart. Natürlich ist Gottes Geist nicht von bestimmten Orten abhängig. Das sagt Jesus ganz deutlich: „Die Zeit kommt, und sie ist schon da, wo ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem dem Vater eure Anbetung bringt… Und doch kommt die Zeit – und sie ist schon angebrochen –, in der die wahrhaftigen Anbeter den Vater anbeten werden in der Wirklichkeit des Geistes und in völliger Wahrhaftigkeit. Der Vater hat ein Verlangen nach solchen Menschen, die ihn anbeten.“ (Joh 4, 21ff) Also können wir Gott genauso in Jena begegnen wie in Jerusalem, in Köln genauso wie in Kapernaum, in Nürnberg genauso wie in Nazareth. Und dennoch geschieht nach meiner Erfahrung etwas Besonderes mit vielen Menschen, die in dieses Land kommen. Sie werden – angesichts der Geographie und Geschichte, der sie begegnen, und angesichts der stärkeren Anschaulichkeit der biblischen Texte an den Originalschauplätzen – offener für den, auf den diese Geschichte weist. Und viele Menschen machen gerade hier, an den besonderen Orten, neue Gotteserfahrungen: Am Teich Bethesda wie in der Grabeskirche, auf dem Ölberg und am Gartengrab, an der Westmauer genauso wie auf der Via Dolorosa. Dafür bin ich dankbar. Gottes Geist ist wirklich nicht an besondere Orte gebunden. Er kann uns überall begegnen. Und das tut er. Auch hier im so genannten Heiligen Land. Weil viele Menschen, die sich hierher auf den Weg machen, sich im Tiefsten nach einer Gottesbegegnung sehnen, schenkt ihnen Gottes Geist dies auch hier. Er braucht dieses Land nicht, aber er gebraucht es. Das ist immer neu ein Wunder.

5 Die Sehnsucht nach mehr

Wer hierhin kommt, kann viel erleben. Hier im Land Jesu, im Land der Patriarchen und Propheten, der Könige und Weisen. Ihm geht es wie dem Dichter von Psalm 48: „So wie wir es gehört hatten,

so haben wir es dann auch gesehen in der Stadt des Adonais, der die Heere befehligt, in der Stadt unseres Gottes.“ (Psalm 48, 9, eigene Übersetzung) Und doch: Wer hierhin kommt, sieht letztlich auch nur ein Land wie jedes andere. Die Stadt, in der ich schreibe, ist und bleibt das irdische Jerusalem. Sie ist eben noch nicht die Stadt der Vollendung. Das so genannte Heilige Land ist eben an vielen Stellen sehr unheilig. Israel ist nicht das Paradies, das Land Kanaan ist nicht der Himmel. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, doch die zukünftige suchen wir!“ (Hebräer 13, 14). Der Zusammenhang, in dem dieser Satz steht, macht es noch deutlicher, dass wir hier, selbst in Jerusalem, noch nicht in der Vollendung sind: „Darum hat auch Jesus, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten. Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, und seine Schmach tragen!“ (Hebräer 13, 12-13) Gerade weil dieses Land und diese Stadt noch so unvollkommen sind, können sie uns ein Hinweis auf die vollkommene Wirklichkeit sein. Das irdische Jerusalem ist ein gebrochenes Bild, ein sehr undeutliches Spiegelbild des himmlischen Jerusalem. Und das ist gut so. Hier, im umkämpften Land, haben wir einen Hinweis auf das wahre gelobte Land, in dem alle Menschen eine ewige, unangefochtene Heimat finden können.

So weckt das Land in uns die Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht nach der ungebrochenen Wirklichkeit Gottes. All dies ist nur ein Schatten, ein unvollkommenes Abbild. Als genau das liebe ich dieses Land. Es ist nicht mehr als ein Hinweis auf das ewige, wahre Land. Aber es ist auch nicht weniger.

Warum das Heilige Land mit wichtig ist? Warum Israel, Palästina und Jordanien mir wichtig sind? Aus diesen fünf Gründen: Hier spüre ich der historischen Wirklichkeit nach. Hier erlebe ich erfüllte Verheißung. Hier finde ich Botschafter der Versöhnung. Hier erfahre ich das Wunder der Gottesbegegnung. Und hier bekomme ich Sehnsucht nach mehr.

Roland Werner, zurzeit in Jerusalem. Aber morgen schon wieder woanders….

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